Dieser Bericht, von Andreas G. Graf und Dieter Nelles mit Anmerkungen versehen die in der Hauptsache der Identifizierung der von Berner vorgestellten Personen dienen, ist ein eindringliches Dokument, das die Stimmungslage der im Widerstand arbeitenden Menschen sehr gut zu vermitteln mag. Die Ängste vor der Entdeckung und um verhaftete Genossen, die Nöte des täglichen Überlebenskampfes, das große Maß an Verstellung oder Tarnung um nicht entdeckt zu werden einerseits und die Begeisterung für die Widerstands-'Erfolge' in Spanien und die Freude über den Besuch des jungen Schweden mit seinen Nachrichten von Verwandten und Freunden, die die eigene Hoffnungslosigkeit für einige Stunden vielleicht abgelöst haben mag, andererseits, werden von Berner einfühlsam erzählt. Erschütternd ist die von ihm geschilderte 'Ausschaltung' eines Spitzels aus den eigenen Reihen, von Graf und Nelles zwar als literarische Verdichtung gedeutet, allerdings mit wahrem Kern. Meines Wissens wird hier eine Thematik angesprochen, die in der Widerstandsliteratur (außerhalb der Konzentrationslager) noch nicht angesprochen worden ist. (Vgl. S. 64-68) Alles in allem eine sehr empfehlenswerte Lektüre.
Andres G. Graf und Dieter Nelles haben zum nun erstmals ins Deutsche übersetzten Bericht ein Vorwort geschrieben, in dem sie den Kontext von Berners Reise, demjenigen beim Erscheinen des Buches in Schweden, eine fragmentarische Biografie Berners und den Versuch des Nachvollzugs seiner Reise darstellen. Bei dieser ordentlichen Zusammenfassung bleibt allein die Frage offen, ob Berner wirklich unbemerkt von den Verfolgungsbehörden und -einrichtungen des NS-Systems seine Reise hat durchführen können - wie die Herausgeber es glauben. Hier muß die Frage gestattet sein, ob die kurz nach Berners Besuch in Wuppertal und Düsseldorf abgelaufene Verhaftungswelle möglicherweise auch auf die Observierung von Berners Besuch zurückzuführen ist. Diese Einschätzung bleibt zunächst Spekulation, hatte doch schon wenige Tage zuvor Anton Rosinke bereits sein Leben unter den Händen der NS-Schergen gelassen, die sich verstärkende Repression folglich schon begonnen. (Vgl. S. 13) Die von Graf und Nelles benutzten Quellen scheinen zudem den oben geäußerten Verdacht nicht zu unterstützen. Dennoch verblüffen die Überschneidungen der Verhaftungen mit Berners Reise: Es wurden ja nicht nur im Rheinland, sondern auch in Berlin (vgl. S. 14 - W. Schwalba) und Sachsen (vgl. S. 46, Anm. 42 - A. Holke) in den Wochen nach der von Graf und Nelles vermuteten Zusammenkunft einige von Berners Kontaktpersonen verhaftet. Zuguterletzt entging er gegen Ende seiner Reise im Rheinland ja selbst auch nur knapp dem Zugriff der NS-Häscher. (Vgl. S. 15) Die von H. Rüdiger gemachte Feststellung, daß Berners Reise für „unsere deutschen Genossen ... ein Erlebnis gewesen" (S. 15) sei, bekäme unter der Maßgabe, daß Berner eben nicht von den Nazis 'übersehen' worden ist, eine fatale Note! Sollte nämlich diese dazu beigetragen haben das Netz der Widerstandsgruppen zu zerschlagen, so wäre auch Berners Verhalten gegen Ende des Jahres 1937 anders zu deuten als es Graf und Nelles tun. Dann könnte seine 'Lebenskrise' mit Suizidabsichten nämlich nicht nur auf einen möglichen Konflikt mit den SAC-Genossen zurückzuführen sein, sondern auch auf 'Gewissensbisse' im Hinblick auf seine 'Mitschuld' an der Verhaftung so vieler deutscher Genossen kurz nachdem er sie besucht hatte! An dieser Stelle wäre ein Hinweis der Herausgeber angebracht, der die hier dargelegte Vermutung, die allein aus der einfachen Lektüre des Textes resultiert, widerlegt, resp. ihre Einschätzung darlegt, warum es denn so nicht gewesen sein kann!
Der sich unmittelbar an Berners Text anschließende Forschungsbericht von Graf und Nelles zum 'Widerstand und Exil deutscher Anarchisten und Anarchosyndikalisten (1933-1945)' setzt einen neuen Maßstab in diesem Bereich. Die Ausführungen Wolfgang Haugs zum Thema aus dem Jahre 1989 (in der IWK 3/89, S. 359-379) werden hier nicht nur auf den neuesten Stand gebracht (leider hat sich seitdem sehr wenig getan), sondern sie erfahren auch wichtige Ergänzungen über Ostdeutschland und Oberschlesien. Konkurrenzlos und 'brandneu' ist darüber hinaus die zusammenfassende Betrachtung der Forschungen über die Arbeit der Exilierten, die vornehmlich in Spanien und Schweden lebten.
Den Abschluß dieses überaus gelungenen Bändchens bilden, neben den üblichen Quellen- und Literaturhinweisen, sowie einer auf Angaben der DadA basierenden Liste der Presse der 'Widerstands- und Exilbewegung', etliche Fotos von AnarchosyndikalistInnen, z.T. aus Privatbesitz, z.T. den Polizeiakten entnommen, die den zuvor beschriebenen und von Graf und Nelles identifizierten Personen ein Gesicht geben. Sie sind das 'Salz in der Suppe' dieser Publikation. […]
Aus: Freies Schaffen. Rundbrief für alle über den Anarchismus, Anarchosyndikalismus, Linksradikalismus sowie antiautoritäre Bewegungen forschenden Historikerinnen und Historiker, hobbyhalber oder -ganzer oder so …, Nr.23, April 1997, [S. 6f.]