Es ist die erstmalige Übersetzung des Berichts über die riskante konspirative Reise des schwedischen Anarchisten Rudolf Berner nach Nazideutschland im Frühjahr 1937, wo er sich auf die Suche nach intakten Widerstandsstrukturen der anarchosyndikalistischen Bewegung in zwei ihrer Kerngebiete, nach Mitteldeutschland und Westdeutschland, begab und von den dort im Untergrund agierenden Genossen mit ungläubigem Erstaunen und großer Freude empfangen wurde. Berner kam geradewegs aus Spanien und hatte den Auftrag, den Versuch zu unternehmen, die abgerissene Verbindung zwischen den deutschen Anarchosyndikalisten im Exil und jenen im deutschen Untergrund wiederaufzubauen. Diese Kurierreise entpuppte sich als eine Reise in eine unfaßbare andere Welt. Die Illegalen in Nazideutschland lebten in furchtbarer Armut und ständiger Angst, von der Gestapo entdeckt und abgeholt zu werden, was während Berners Rundreise auch tatsächlich mit einigen von ihnen geschah. Dazu kam oftmals bereits tiefe Mutlosigkeit, Angst und ständige Sorge um Angehörige im In- und Ausland, Desillusionierung über die Stabilität des NS-Regimes und eine zunehmende Unfähigkeit, sich ein Leben jenseits einer solch durchorganisierten, perfektionierten Diktatur ausmalen zu können. Das völlig unerwartete Auftauchen des schwedischen Kuriers mit Nachrichten von den Kämpfen in Spanien trägt in seinem Reisebericht schon fast messianische Züge und bewirkte damals sichtlich einen enormen Hoffnungs- und Motivationsschub bei allen von ihm aufgesuchten Personen. Aus Berners Bericht geht gleichzeitig hervor, wie wenig er die Gefahr, in die er sich begeben hatte, mitunter einschätzen konnte und wie leichtsinnig er sich manchmal während seiner Besuche verhielt.
Komplettiert wird der Bericht Berners durch eine ausführliche Kommentierung der beiden Herausgeber, die als Historiker bereits seit langem zur Geschichte der FAUD (Freie Arbeiter-Union Deutschlands) sowie der Aktivitäten einiger ihrer Mitglieder im Spanischen Bürgerkrieg arbeiten und schon zahlreiche Beiträge dazu veröffentlicht haben. So werden nicht nur Textstellen und anonymisierte Personen dechiffriert und deren Kurzbiographie präsentiert, sondern es wird auch - soweit möglich - zwischen Authentizität und Fiktion in diesem Bericht differenziert. Darüber hinaus erfahren wir einiges über die Funktion dieses Berichts in Schweden selbst, wo er, unter dem Pseudonym Frank Tireur veröffentlicht, zur aktiven Bekämpfung des Nationalsozialismus auffordern sollte.
Zusätzlich zu der Kommentierung enthält das Buch auch eine längere Studie der beiden Herausgeber, die aufgrund einer inzwischen verbesserten Quellenlage nach zahlreichen Archivöffnungen eine erste umfassende Darstellung des Exils sowie des Widerstands der deutschen Anarchisten und Anarchosyndikalisten im Exil und im deutschen Untergrund beinhaltet. Darin wird auch ausführlich auf die Aktivitäten der deutschen anarchosyndikalistischen Exilanten in Spanien vor und während des Bürgerkriegs eingegangen. In jene Informationen flossen jedoch nicht nur Archivquellen ein, sondern beide Autoren haben seit langem intensive Kontakte zu ehemaligen SpanienkämpferInnen aus der anarchosyndikalistischen Bewegung aufgebaut und gelangten auf diese Weise an eindrucksvolle mündliche Berichte, wichtige Korrespondenzen (die die intensive Briefkultur innerhalb der anarchistischen Gemeinschaft belegen), Fotos und andere Zeugnisse. Völlig entgegen der üblichen Einschätzung, daß über die Anarchosyndikalisten und den Aufbau ihrer Organisationen nichts Wesentliches mehr auffindbar und aussagbar sei, kommen die Herausgeber zu dem erstaunlichen Schluß, daß die Quellenlage "wohl für keine Gruppierung der deutschen Arbeiterbewegung von einer solch frappierenden Dichte und Intensität wie gerade für die der Anarchosyndikalisten und Anarchisten" sei. Die Mühe, die sie bisher dafür aufwandten, hatten andere bisher jedoch gescheut. Durch persönliche Kontakte kam auch die Übersetzung von Berners Bericht zustande; sie wurde u.a. von Helmut Kirschey besorgt, der selbst ein Spanienkämpfer war.
Positiv zu erwähnen sind noch eine Auflistung der gesamten Presseorgane des deutschen anarchosyndikalistischen Widerstands und Exils sowie ein Fototeil im Anhang mit z.T. bislang völlig unbekannten Fotos. Auch zeigen beide Autoren diejenigen Fragen auf, denen nachzugehen sich in diesem thematischen Kontext auf jeden Fall noch lohnen würde.
Aus: TRANVIA. Revue der iberischen Habinsel, Heft 45 (Juni 1997), S. 13.