Über seine gefahrvolle Kurierreise durch Nazideutschland hat Berner unter dem Pseudonym Frank Tireur 1940 in Schweden den nun auch in deutscher Übersetzung vorliegenden "Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland" veröffentlicht. In ihm beschreibt er in verschlüsselter Form die Widerstandsaktivitäten der deutschen Anarchisten und Anarchosyndikalisten gegen das nationalsozialistische Terrorregime. Dabei vermittelt er einen lebendigen Eindruck von der extremen Lebenssituation, den Ängsten und den Hoffnungen einer kleinen - und von der Forschung bislang weitgehend ignorierten - Gruppe des deutschen Widerstandes. Zugleich ist Berners Bericht aber auch eines der wenigen Zeugnisse internationaler Solidarität im Kampf gegen den Nationalsozialismus.
Für die Herausgeber war es eine reizvolle Herausforderung, anhand unterschiedlicher Quellen die Mischung von Authentizität und Fiktion in Berners Bericht aufzulösen. Das bedeutete zunächst einmal, den Verlauf seiner Reise zu rekonstruieren sowie reale Personen, Ereignisse und Orte zu decodieren.
Für sich genommen ist Berners Bericht ein Schlüsseldokument zur Geschichte des anarchosyndikalistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Durch ihre ergänzende Kommentierung von Berners Bericht und vertieft in ihrer im Anhang abgedruckten Studie unternehmen darüber hinaus Andreas Graf und Dieter Nelles den Versuch einer ersten umfassenden Darstellung des Widerstandes und Exils der deutschen Anarchisten und Anarchosyndikalisten. Ihre Studie macht deutlich, daß der in den letzten Jahren neu erschlossene Reichtum an Archivalien einige "Überraschungen" offeriert, die nicht selten die bisherigen Forschungsergebnisse in Frage stellen. Gleichzeitig werden neue Interpretationsperspektiven sichtbar, die der Widerstandsforschung insgesamt eine neue Schubkraft verleihen könnte[n].
Aus: Barnimer Bürgerpost. Unabhängige Leserzeitung, Heft 6/97 v. 30. Mai 1997, S. 11