Materialien zu: Rudolf Berner: Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). (c) Libertad Verlag Potsdam 1997. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für 32.- DM unter ISBN-Nr.: 3-922226-23-X. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches 

Buchbesprechung in IWK 
Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung

"Wenn wir in Spanien verlieren", so der deutsche Anarchosyndikalist Fritz Benner in den dreißiger Jahren, "versackt eine ganze Generation von Revolutionären.'' Die immense Bedeutung, die der Spanische Bürgerkrieg als bewaffnete Auseinandersetzung mit dem Faschismus und als sozialrevolutionäres Experiment für deutsche Anarchisten besaß, aber auch der prophetische Charakter dieser Sätze – beides wird in dem von Andreas G. Graf und Dieter Nelles herausgegebenen Band auf eindrucksvolle Weise nachvollziehbar.

Mit der Edierung und akribischen Annotierung des erstmals 1940 in Stockholm erschienenen Berichts des schwedischen Anarchisten Rudolf Berner über eine illegale Reise nach Deutschland haben Graf und Nelles die Innenansicht einer kleinen Gruppe des proletarischen Widerstands zugänglich gemacht, wie sie in dieser Form selten zu finden ist. Anschaulich vermittelt Berners literarisch aufbereitete Schilderung seiner Treffen mit deutschen Genossinnen und Genossen in verschiedenen Städten und seiner eigenen Gedanken und Gefühle dabei die bedrückende Atmosphäre, in der die wenigen oppositionellen Frauen und Männer unter der nationalsozialistischen Herrschaft lebten und nach den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Widerstand leisteten. Bemerkenswert sind vor allem jene Passagen, in denen die Ängste und Hoffnungen aber auch die moralisch-ethischen Probleme beschrieben werden, denen sich die Widerständler gegenübergestellt sahen. In der Art und Weise, wie Zweifel und Pessimismus mit dem Verweis auf die kommende Revolution und die internationale Solidarität immer wieder überwunden werden, kann Berners Schrift zwar ihre propagandistischen Intentionen nicht verleugnen, einprägsam aber bleibt letztlich die Plastizität seiner Beschreibung einer kleinen Welt des Widerstands, die nach 1945 fast völlig in Vergessenheit geraten ist.

Daß die Gründe hierfür sicher nicht in der geringen Größe der anarchistischen Gruppen oder in der begrenzten historischen Tragweite ihrer Aktionen liegen, macht ein Vergleich mit der Nachkriegswürdigung anderer, gerade bürgerlicher Zirkel wie etwa der Weißen Rose mehr als deutlich. Vielmehr eignete sich der anarchosyndikalistische Widerstand, mit seiner konsequenten Kapitalismus- wie Stalinismuskritik, nach dem Zweiten Weltkrieg in keinem der beiden deutschen Staaten für traditionsbildende Würdigungen, so daß man seine Geschichte, meist unter Verweis auf den utopisch-sektiererischen Charakter der Gruppen, in 0st und West gleichermaßen ignorierte. Dies änderte sich erst, als in den siebziger Jahren der Spanische Bürgerkrieg, gewissermaßen als historischer Bezugspunkt der bundesdeutschen Linken, wieder in das Blickfeld des wissenschaftlichen Interesses geriet - und damit auch die zahlreichen deutschen Teilnehmer auf republikanischer Seite. In diesem Zusammenhang entstanden einige biographische und regionale bzw. lokale Arbeiten zu deutschen Anarchisten in Widerstand und Exil, eine umfassende, neu zugängliche Archivalien einbeziehende Studie steht jedoch, wie Graf und Nelles betonen, bisher noch aus.

Dabei stellen die Herausgeber ihr Licht jedoch etwas unter den Scheffel, bieten sie doch im zweiten Teil der vorliegenden Veröffentlichung weit mehr als nur eine wissenschaftliche "Ergänzung'' von Berners Zeitzeugenbericht. Auf sechzig Seiten liefern die Autoren, die beide auf eigene Arbeiten zum Thema zurückgreifen können, einen ersten Gesamtüberblick über die Geschichte des Widerstands anarchistischer und anarchosyndikalistischer Gruppen in Deutschland und in den europäischen Exilländern, dem ein ausführlicher Bericht zu Forschungsstand und Quellenlage vorausgeschickt ist. Lediglich letzteren hätte man sich etwas ausführlicher gewünscht, um nicht allein durch "Spurensuche" im umfangreichen Anmerkungsteil festzustellen, welch wertvolles Material sowohl in den erhaltenen Nachlässen der Widerstandskämpfer als auch in den seit einigen Jahren zugänglichen Beständen des Archivs in Dahlwitz-Hoppegarten zu finden ist. Dafür wird man als Leserin oder Leser allerdings mehr als entschädigt durch die ausführliche Bibliographie im Anhang, die neben der Literatur auch eine Liste der benutzten Archivbestände und ein sorgfältig kommentiertes Verzeichnis der z. T. nur schwer zugänglichen zeitgenössischen Presse der anarchosyndikalistischen Bewegung bis hin zur Datenbankadresse im Internet enthält. Ein Personen- und Ortsregister sowie Fotos und Faksimiles runden diesen liebevoll edierten und wissenschaftlich kompakten Band ab, der die Aussagekraft eines Zeitzeugenberichts in vorbildlicher Weise mit der historischen Analyse verbindet.

Stefanie Schüler-Springorum

Aus: IWK – Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 33. Jg., Sept. 1997, H. 3, S. 452 f. 


Materialien zu: Rudolf Berner: Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). (c) Libertad Verlag Potsdam 1997. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für 32.- DM unter ISBN-Nr.: 3-922226-23-X. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches]