DadA-Empfehlung

Auszug aus: Hubert van den Berg: Avantgarde und Anarchismus. Dada in Zürich und Berlin. - Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1999. 509 S. Im Buchhandel erhältlich für 98,00.- DM unter ISBN-Nr.: 3-8253-0852-9. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches] 


Vorbemerkung

Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andre erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, meinen eigenen Rhythmus und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen, die von mir selbst sind. Wenn diese Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich füglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind (Ball1988:40).

 Dada und Anarchie, Dadaismus und Anarchismus - sie werden oft in einem Atemzug genannt, sei es von Feuilletonisten, die sich in Superlativen zu überbieten suchen, sei es von der Avantgardeforschung, wenn sie die besondere Sprengkraft des Dadaismus in Worte zu fassen sucht. Doch nicht nur wird Dada plakativ als anarchistisches Phänomen umschrieben. Schon lange ist klar: Es hat auch persönliche Kontakte zwischen manchen Dadaisten und Repräsentanten der zeitgenössischen sozialpolitischen anarchistischen Bewegung gegeben. In Schriften aus dem Kreis der Dadaisten wird wiederholt auf das anarchistische Theorienkonglomerat, beispielsweise auf Proudhon, Bakunin und Kropotkin, Bezug genommen. Zwar wird in der Forschungsliteratur regelmäßig auf diese Beziehungen und Bezugnahmen hingewiesen, allerdings dienen solche Hinweise in der Regel nur dem Nachweis der historischen Plausibilität ahistorischer Homologiebildungen. Der Zusammenhang zwischen Dadaismus und Anarchismus wird überwiegend in Form nachträglich konstruierter Parallelen, Ähnlichkeiten und globaler Übereinkünfte beschrieben, nach dem Motto: Dada habe zerstören wollen, der Anarchismus auch, Dada forderte grenzenlose Freiheit, der Anarchismus ebenfalls. Die folgenden Untersuchungen zielen dagegen auf eine Rekonstruktion der Art und Weise ab, wie insbesondere die Züricher und Berliner Dadaisten selbst auf den Anarchismus Bezug nahmen, wie sie sich auf politischer Ebene zum Anarchismus verhielten, ob und, wenn ja, welche Elemente anarchistischer Theoriebildung sie sich aneigneten und diese in die dadaistische Programmatik integrierten, sei es direkt oder indirekt, sei es lediglich als Reflexionsfläche oder als Vorgabe und Wegweiser für eigene Gedankengänge, sei es polemisch-negativ, kritisch-distanziert, mit gewissen Vorbehalten oder gerade im besten Einvernehmen.

Als Fallstudie des künstlerisch-literarischen Rekurses auf den Anarchismus sind die vorliegenden Untersuchungen als Beitrag zur Beschreibung des historischen Zusammenhangs zwischen Kunst, Literatur und Anarchismus zu verstehen. Als solche schließen sie eine langjährige Beschäftigung mit diesem Forschungsterrain vorerst ab. Diese Arbeit ist nicht nur als Korrektur der Art und Weise, wie der Dada in der Avantgardeforschung in der Regel mit Anarchismus in Zusammenhang gebracht wird, oder als Ergänzung bisheriger Darstellungen des Verhältnisses Dadaismus - Anarchismus gedacht. Sie ist darüber hinaus als Beitrag zur Revision des heutzutage konventionellen Dada-Verständnisses zu verstehen und somit im doppelten Sinne als Beitrag zur Dada- und Avantgardeforschung.

Es war in erster Linie die Auseinandersetzung mit der Poetik des Dadaisten Hans Arp (cf. van den Berg 1993b), anschließend jedoch auch die für die vorliegende Arbeit erforderliche umfassende Lektüre dadaistischer Programmschriften, die schließlich zur Feststellung führten, daß im dadaistischen Selbstverständnis der zehner und zwanziger Jahre Dada zumindest in Zürich und Berlin weitaus konstruktiver angelegt war, als jene gegenwärtig dominante Bestimmung von Dada als Anti-Kunst und Anti-Alles glauben lassen will, dem man sowohl in den einflußreichen Memoiren einiger ehemaliger Dadaisten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als auch in der darauf maßgeblich beruhenden Forschungsliteratur antrifft. Diese Studie schließt in diesem Sinne an eine Reihe verstreut publizierter, jedoch zusammenhängender Beiträge zu unterschiedlichen Aspekten des Dadaismus und der Avantgarde an, in denen ebenfalls die These vertreten wird, daß die konstruktive Seite des Dadaismus weitaus stärker entwickelt war, als gemeinhin angenommen wird: daß es den Dadaisten nicht primär um Sinnzerstörung, Destruktion und Negation, sondern vielmehr um neue, alternative, wenn auch nicht traditionslose Sinnstiftung ging, die zwar die Absage an bestimmte Traditionen voraussetzte, jedoch keineswegs darin beharrte (cf. van den Berg 1995a, 1995c, 1996b, 1997a, 1997b und 1997c).

Manche Überlegungen aus diesen Artikeln sind in die vorliegende Arbeit eingeflossen, so wie die Ergebnisse von Nachforschungen im Rahmen dieser Arbeit wiederum in manchen dieser Beiträge berücksichtigt wurden. Auf ältere Veröffentlichungen wird insbesondere zurückgegriffen bei der Betrachtung der Philosophie von Salomo Friedlaender und ihrer Bedeutung für Dada (ci intra 7, van den Berg 1995a und 1997a). Daneben beruht die Beschreibung anarchistischer Überlegungen zur Ästhetik bei Proudhon, Tolstoi und Kropotkin auf einer älteren Darstellung ihrer Erwägungen (cf. intra 6.3.2.2 und van den Berg 1989b). Hugo Balls Auseinandersetzung mit und Bezugnahme auf Gustav Landauer, insbesondere im Hinblick auf die Genese seiner dadaistischen Lautdichtung (cf. intra 5), war Gegenstand einiger Vorträge - 1994 in Grenoble, 1995 in Vancouver (BC) - und einer Vorveröffentlichung im Hugo-Ball-Almanach (cf. van den Berg 1995b).

Für Auskünfte, Hinweise, Kommentare und den Zugang zu unveröffentlichten Archivalien und Publikationen sowie für ihre Druckgenehmigung als Rechtsinhabern danke ich an dieser Stelle: Wolfgang Asholt (Münster), Peter Bürger (Bremen), Richard Cleminson (Bradford), Cathérine Coquio (Paris), Bernhard Echte (Zürich), Hartmut Geerken (Wartaweil), Andreas Graf (Berlin), Garol V. Hamilton (Pittsburgh), Andreas Hansen (Berlin), Sigrid Hauff (Wartaweil), Francesca Hauswirth (Gonfignon), Chris Hirte (Berlin), Marion von Hofacker (Icking), Heinz Hug (Zürich), Herbert Kapfer (München), Rolf Kauffeldt (Düsseldorf), Christoph Knüppel (Herford), Anja Krauß (Darmstadt) Raimund Meyer (Zürich), Dieter Nelles (Wuppertal), John Segal (Halebarns), Grete Stmeh (Glamart-Meudon), Ernst Teubner (Pirmasens), Christophe Tzara (Sceaux); und außerdem folgenden Institutionen und ihren MitarbeiterInnen: Akademie der Künste (Berlin), Berlinische Galerie (Berlin), Bibliothèque littéraire Jacques Doucet (Paris), Deutsches Literaturarchiv (Marbach), Einwohnermeldeamt (Berlin), Fondation Arp (Meudon-Glamart), Fondation/Stiftung Hans/Jean Arp und Sophie Taeuber-Arp (Meudon-Clamart/Rolandseck), Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (Amsterdam), International Dada Archive, University of Iowa (Iowa City), Kunstgewerbemuseum (Zürich), Graphische Sammlung im Kunsthaus Zürich (Zürich), Leo Baeck Institute (New York), Magyar Szocialistia Munkáspárt, Politikatörténéti Intézet (Budapest), Robert-Walser-Archiv der Carl-Seelig-Stiftung (Zürich), Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie (Den Haag), Rijksdienst Beeldende Kunst (Den Haag), Schweizerisches Sozialarchiv (Zürich), Staatsbibliothek zu Berlin/Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Stadtbücherei Pirmasens (Pirmasens), Universiteitsbibliotheek, Rijksuniversiteit Leiden (Leiden).

Ferner möchte ich für ihre großzügige finanzielle Unterstützung an erster Stelle meinen Eltern danken wie auch der Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek (NWO) und der Forschungsabteilung der Faculteit der Lerteren der Universität Amsterdam, die durch mehrere Reisestipendien Forschungsaufenthalte in Frankreich, Deutschland und der Schweiz ermöglichten und diese Veröffentlichung finanziell unterstützten.

Mein besonderer Dank gilt außerdem Hans Würzner (Leiderdorp), der am Anfang dieser Arbeit stand, Walter Fähnders (Osnabrück), der sich durch seine zahllosen Hinweise, Anregungen und Kommentare unschätzbar gemacht hat, Andreas Graf (Berlin), Hendrik van den Berg (Uitgeest), Jan Gäth (Hamburg) und Ralf Grüttemeier (Oldenburg), die Korrekturen gelesen haben, Noor Kegel (Amsterdam), die bei der Drucklegung geholfen hat, sowie last but not least Ferd. Drijkoningen, der mir als Doktorvater nicht nur die Möglichkeit geschaffen hat, an der Universität Amsterdam diese Studie vorzubereiten, sondern mir vor allem auch die Freiheit gelassen hat, eigene Wege zu verfolgen. Die vorliegenden Untersuchungen wurden im Herbst 1997 als Dissertation unter dem Titel Avantgarde und Anarchismus. Untersuchungen zur Bedeutung des Anarchismus in der Programmatik des Dadaismus in Zürich und Berlin bei einer Promotionskommission der Universität Amsterdam eingereicht und am 6. Januar 1998 in der Aula dieser Universität öffentlich verteidigt.

Zutiefst entschuldigen will ich mich bei Ilia Neudecker, Torsten und Siri van den Berg, die das Anwachsen der folgenden Bleiwüste ebenfalls zu verspüren bekamen, insbesondere jedoch bei Torsten, der ungefragt wohl am meisten unter dieser Arbeit gelitten hat. Ihm sei dieses Buch als magerer Trost daher gewidmet.

Hubert van den Berg


Auszug aus: Hubert van den Berg: Avantgarde und Anarchismus. Dada in Zürich und Berlin. - Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1999. 509 S. Im Buchhandel erhältlich für 98,00.- DM unter ISBN-Nr.: 3-8253-0852-9. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches]