Einleitung
Zur Einführung in die
Gedankenwelt des libertären Denkers Pierre Ramus und seiner Philosophie der
Gewaltlosigkeit würdigt der profunde Ramus-Kenner Reinhard Müller im ersten
Kapitel das Werk und Leben von Ramus. Diese Würdigung wurde im Rahmen einer der
regelmässigen Erinnerungsfeiern des Friedrich-Liebling-Archivs zu Ehren grosser
gewaltloser Erzieher in Lausanne ausgesprochen. Wir danken dem Archiv für die
freundliche Erlaubnis, diesen unveröffentlichten Beitrag abdrucken zu dürfen.
Im zweiten Kapitel gewährt uns ein Zeitzeuge einen lebendigen und aufwühlenden
Einblick in die Arbeit einer Bewegung, die anfangs des Jahrhunderts in Österreich
um Ramus entstand. Der ergreifende ,,Brief an einen Freund“ schliesst diese
Erinnerung. Eine ganz besondere Freude ist es uns, im dritten Kapitel ein bisher
unveröffentlichtes Gespräch mit der Tochter Pierre Ramus‘ abzudrucken. Frau
Lilly E. Schorr lebt heute in Los Angeles. Sie spricht in einfachen und klaren
Worten von ihrer Kindheit und ihrer Jugend. Hier wird deutlich, wie diese Frau
im Hause eines gewaltlos erziehenden Elternpaares zu einer Persönlichkeit
heranreifen konnte. Im vierten Kapitel berichtet Ferdinand Groß über seine
Begegnung mit Ramus in den dreissiger Jahren. Diese Begegnung veränderte sein
Leben und veranlasste ihn, sein weiteres Schaffen und Denken in den Dienst der
Sache des freiheitlichen Sozialismus zu stellen. Um diese beiden kurzen Beiträge
ins richtige Licht zu rücken und die Arbeit des 1998 verstorbenen Ferdinand Groß
zu würdigen, haben wir beschlossen, im fünften Kapitel die an Sachkenntnis äusserst
reiche Würdigung und Lebensbeschreibung von Reinhard Müller einzuschieben.
Diese politische und biographische Bestandsaufnahme umfasst das ganze 20.
Jahrhundert. Das sechste Kapitel ist eine psychologische Würdigung des
Hauptwerks von Pierre Ramus: ,,Die Neuschöpfung der Gesellschaft“. Die beiden
folgenden Kapitel sieben und acht wollen die Bedeutung der Gewaltlosigkeit im
zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben aufzeigen. Das
Nachwort lautet: ,,Bevor ich töte, lasse ich mich töten“. Dieses aussergewöhnliche
Bekenntnis zur absoluten Gewaltlosigkeit, das den Zweiten Weltkrieg und die
Konzentrationslager des Nationalsozialismus überdauerte, wird uns von Ferdinand
Groß übermittelt. Den Schluss bieten drei Bibliographien. Die zwei ersten
betreffen Werke von und über Ramus, die erste wurde von Reinhard Müller und
die zweite von Marianne Enckell (CIRA, Lausanne) zusammengestellt. Die dritte
bescheidene Bibliographie betrifft einige Schriften zur gewaltlosen Erziehung.
Ich möchte noch hinzufügen,
dass wir anfangs geplant hatten, ein Kapitel mit dem Titel Nach Ramus...“
zusammenzustellen. Wir wollten zum Beispiel über die Aktivitäten der
Pierre-Ramus-Gesellschaft in Wien und andere berichten. Adi Rasworschegg von der
FAU/Ö äusserte sich sehr lobend über unsere Schrift und schlug vor‘ kurz über
seine Aktivitäten in der FAU/Ö zu berichten. Adi Rasworschegg schreibt, dass
die 1992 gegründete Pierre-Ramus-Gesellschaft weiterhin besteht. Sie
veranstaltete 1992, anlässlich des 50sten Todesjahres von Pierre Ramus ihr
erstes Pierre-Ramus-Symposium, das zweite im November 1995. Die Gesellschaft
gibt sporadisch die Publikation ,,Erkenntnis. Zeitschrift der
Pierre-Ramus-Gesellschaft“ heraus. Adi Rasworschegg betont, dass ,,die
Botschaft Pierre Ramus‘ weitergetragen wird und zu hoffen ist, dass die
,,Neuschöpfung der Gesellschaft“ nicht nur ein unrealistischer und schöner
Traum bleibt, sondern dass die Menschen wieder lernen, den richtigen Weg zum ,,Mensch-sein“
zu finden!“[1]
Gerne verweise ich auf die Biographie über Pierre Ramus, die Adi Rasworschegg
im Lexikon der Anarchie 1996/7 veröffentlicht hat. Dr. Gerhard Senft sandte mir
einige Unterlagen der Gesellschaft und die Nummer 7-8 der ,,Erkenntnis“[2].
Wir bedauern, dass dieses Kapitel über heutige Aktivitäten nicht zustande kam.
Sie hätten es verdient, dass darüber berichtet wird. Wir fühlten uns jedoch
nicht kompetent, dieses Kapitel aufgrund der wenigen Unterlagen selbst zu
verfassen. So können wir nur hoffen und wünschen, dass sich einer der
Mitarbeiter der Pierre-Ramus-Gesellschaft dieses wichtigen Themas annimmt. Gerne
gebe ich die Adressen der Gesellschaft und der FAU/Ö an, so dass sich
interessierte Leser direkt dorthin wenden können, falls sie weitere
Informationen wünschen.[3]
Die FAU/Ö ist aktiv in der
Arbeit mit Kurden, um ihre Bestrebungen nach Frieden und Anerkennung ihrer
Rechte zu unterstützen. Der ,,Pinguin“, alternatives Jugendhaus in der Wiener
Neustadt, wurde 1996 geschlossen. Die FAU/Ö versteht sich als ein Nachfolger
des ,,Bundes herrschaftsloser Sozialisten“ und versucht, vor allem ausländischen
ArbeitnehmerInnen bei Fragen in Bezug auf Arbeitsrecht, Fremdenrecht und
Asylrecht, Beschaffung von Wohnmöglichkeiten, Schulberatung, allgemeinen
Rechtsfragen, Jugend- und Kulturarbeit hilfreich zur Seite zu stehen. Adi
Rasworschegg hat verschiedene kleine Broschüren verfasst und 1994 ein
,,autonomes Frauenhaus“ gegründet. Auf diese Weise möchte er, wie er sagt,
als einer der letzten vier alten Genossen ein Beispiel zu dem geben, was er persönlich
unter Anarchismus versteht und ohne Zwang, Befehle und staatliche Verordnungen
und Gesetze im Sinne von Ramus und Rocker einen Beitrag zur Neuschöpfung der
Gesellschaft leisten. Adi Rasworschegg und allen Freunden auf unserem kleinen
Planeten, die sich im Sinne der Gewaltlosigkeit einsetzen, sei hiermit gedankt.
Pierre Ramus hat den Menschen des
dritten Jahrtausends eine lebenswichtige Erkenntnis mitzuteilen: Die absolute
Gewaltlosigkeit ist und bleibt die einzige zukunftsträchtige Grundlage und die
einzige gesellschaftsverändernde Strategie, die das Uberleben der Menschheit
sichern kann.
Diese Schrift will einen kleinen
Beitrag dazu leisten, dass dieser weitsichtige Gedanke aus der Zeit vor dem
Zweiten Weltkrieg im heillosen Durcheinander der Ideologien nicht verloren geht.
Gerda Fellay
[1] Brief vom 5. August 1999
[2] Winter 1997, 5. Jg.
[3] Pierre-Ramus-Geselischaft,
p.a. Dr. Dieter Schrage, Matznergasse 8, A-1140 Wien. Die
FAU/Ö c/o Adi Rasworschegg, Lärchengasse 46, A-2601 Maria Theresia