AnarchosyndikalistInnen auf dem Wolfschen Weingut in Naumburg an der Saale (ca. 1933/34). Rechts mit Hund: Ferdinand 'Nante' Götze (1907-1985), bis Ende 1934 erster Vorsitzender der illegalen FAUD-Geschäftskommission. |
Der Widerstand der bis 1933 legal in der Freien
Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) bzw. in der Föderation kommunistischer
Anarchisten Deutschlands (FKAD) - seit 1931 unter Anarchistische
Föderation (AF) firmierend - zusammengeschlossenen Anarchosyndikalisten
und Anarchisten hat unter Historikern nur mühsam eine Stimme gefunden
und ist weitgehend unerforscht. Zuweilen geriet die Darstellung des anarchosyndikalistischen
Widerstandes zum Nebenprodukt der zahlreichen Arbeiten über widerständiges
Verhalten in einzelnen Städten und Regionen, wurde dort bestenfalls
en passant abgehandelt. Erst 1980 entstand die erste größere
Studie, Pionierarbeit mithin, bemerkenswerterweise außerhalb der
akademisch gebremsten Forschung.[1]
Inzwischen liegen monographische und dokumentarische Mosaiksteine vor, aber sie vermitteln weder ein vollständiges noch ein differenziertes Bild: Widerstandsaktivitäten der FAUD sind im regionalen und lokalen Rahmen des rheinisch-westfälischen Industriegebiets[2], Hessens sowie für den Raum Mannheim/Ludwigshafen[3] gut dokumentiert. Spurenelemente gibt es für das Saarland[4] und Bremen[5], dokumentarische Splitter für Berlin[6]. Andere Orte und Regionen, wie Brandenburg, Sachsen - hier vor allem Chemnitz, Dresden und Leipzig[7] -, Thüringen und Oberschlesien, harren noch der Untersuchung. Eine erste Zusammenfassung des Kenntnisstandes bietet der Aufsatz von Wolfgang Haug.[8] |
Die Untersuchung Jan Foitziks schließlich liefert einen wichtigen vergleichenden Beitrag über die Politik, Organisation und Funktion linker Splittergruppen im Widerstand 1933 bis 1939/40, in der die Anarchosyndikalisten allerdings auf einer dürftigen Quellenbasis nur kursorisch behandelt werden.[9] Und das war es dann auch schon. Ansonsten finden sich in der Literatur nur flüchtige Hinweise auf einzelne Anarchosyndikalisten.[10] 20 Der 1994 erschienene Lexikonbeitrag Hartmut Mehringers[11] über den anarchosyndikalistischen Widerstand ist eine Zumutung, bezieht er sich doch, indem er die vorhandene Literatur ignoriert, ausschließlich auf die erwähnte Arbeit von Foitzik. Eine neuere Arbeit, die "das Wagnis" eingeht, "eine Gesamtdarstellung gewerkschaftlichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu schreiben", erwähnt die Anarchosyndikalisten nicht einmal.[12] |
Illegales Treffen von FAUD-Mitgliedern an der Straßenkreuzung Eberbach-Beerfelden am 30. Juli 1933. Stehend von links nach rechts: Gustav Doster (geb. 1904), Friedrich Lösch (geb. 1896), Wilhelm Ruff (geb. 1893); sitzend von links nach rechts: Frau Schneider, Marie Doster, Otto Götz. |
Richard Thiede (1906-1990) aus Leipzig,
erkennungsdienstliche Aufnahme nach der Verhaftung (15.2.1937). Nachdem
'Nante' Götze Ende 1934 nach Spanien emigriert war,
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Was also vorliegt, ist ein erster Überblick über Widerstandsaktivitäten der deutschen Anarchosyndikalisten zwischen 1933 und 1937. Danach klafft ein schwarzes Loch. Aber schon eine grobe Durchsicht überlieferter Quellen staatlicher Provenienz, wie der Akten der Gestapo, des Sicherheitsdienstes der SS, des Volksgerichtshofes, diverser Oberlandes-, Land- und Sondergerichte sowie von Wiedergutmachungsämtern macht deutlich, daß sich Verfolgung und Widerstand bis in das Jahr 1945 nachweisen lassen. Eine empirisch gesättigte und systematische Untersuchung des anarchosyndikalistischen Widerstandes ist ein dringendes Forschungsdesiderat |
Über die Aktions- und Organisationsgeschichte hinaus stellen sich
aus einer solchen sozialgeschichtlichen Perspektive Fragen nach dem sozialen
Profil und der sozialen Umwelt der Anarchosyndikalisten, "ihren mentalen
und habituellen Besonderheiten und sozialen Kommunikationsformen".[14]
Hierunter fallen Fragen, die sich auf die "Tiefenstruktur" von anarchistischen
Organisationen beziehen, Fragen zum Verhältnis von formellen und informellen
Strukturen, zu Wertorientierungen, Politikwahrnehmung und Politikverständnis,
zur Rolle der Gruppe als Sozialisationsagentur usw.
Auch in der Exilforschung haben die Anarchosyndikalisten kaum Beachtung gefunden. Obwohl mittlerweile eine Anzahl von Arbeiten vorliegen, sind die politischen und publizistischen Exilaktivitäten der Anarchosyndikalisten, deren überwiegende Mehrheit sich seit 1934 in der länderübergreifenden Organisation Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland (DAS) zusammengeschlossen hatte, nur in Ansätzen erforscht. Diesem Forschungsdefizit sowie dem spezifischen Charakter des anarchosyndikalistischen Exils trägt das (Vor-) Urteil Liselotte Maas' kaum Rechnung, die in ihrem "Handbuch der deutschen Exilpresse" schreibt: "Im Spektrum der Exilpresse blieben die Blätter der Anarchisten […] absolute Randerscheinungen. Aktivitäten von einzelnen für einzelne, ohne wirksame Kontakte zu den Diskussionen des deutschen Exils. […] Ihre Kritik und auch ihre idealistischen Gegenentwürfe vermochten […] ganz offensichtlich den eigenen kleinen Kreis nie zu sprengen. Jedenfalls war die Ausstrahlung so gering, daß sie größere Gruppen von Emigranten überhaupt nicht erreichten."[15] |
Mitglieder der Gruppe DAS 1938 in Barcelona: Wilhelm 'Willi' Winkelmann (1897-1981), Spitzname der "Rote Konsul von Barcelona", und Paul Helberg (geb. 1905). |
Schon vor Patrik von zur Mühlens Buch waren Erlebnisberichte und
Dokumentationen über deutsche Anarchosyndikalisten im Spanischen Bürgerkrieg
publiziert worden.[19] In den letzten zehn
Jahren sind dann noch eine Reihe weiterer, zumeist biographischer Aufsätze
und Nachrufe erschienen, die von zur Mühlens Darstellung ergänzen
und korrigieren. [20]
Relativ gut erforscht sind die Biographien von intellektuellen Sympathisanten
des Anarchismus. Die Schriftstellerin Etta Federn-Kohlhaas, die in Berlin
in dem der FAUD nahestehenden Syndikalistischen Frauenbund aktiv
war, lebte schon seit 1932 mit ihren beiden Kindern in Barcelona, weil
sie als Biographin von Walter Rathenau Morddrohungen von Nationalsozialisten
erhalten hatte.[21] Federn-Kohlhaas engagierte
sich in Spanien bei den anarchistischen Mujeres Libres (Freien Frauen),
in deren Verlag 1938 ihr Buch "Mujeres de las Revoluciones" erschien, das,
von Marianne Kröger übersetzt und mit einer Einleitung versehen,
in diesem Jahr herausgegeben wird.[22]
Kröger ist auch die Verfasserin mehrerer Aufsätze über den
Kunsthistoriker und Schriftsteller Carl Einstein, der in Spanien auf seiten
der CNT kämpfte.[23] Wie Einstein
entwickelte auch der deutsche Journalist und ehemalige Redakteur der Weltbühne
Hanns-Erich Kaminski in Spanien eine kritische Sympathie zum Anarchismus.
Kaminski und - wie Haug in einem Aufsatz darlegt - seine Lebensgefährtin
Anita Karfunkel hatten sich seit September 1936 für mehrere Monate
in Katalonien aufgehalten und veröffentlichten über ihre Eindrücke
im Mai 1937 ein Buch in französischer Sprache, das 1986 in deutscher
Übersetzung erschien.[24]
Mitglieder der Gruppe DAS bzw. der CNT 1939 im französischen Internierungslager Gurs. Von links nach rechts: Karl Brauner (1914-1994), Helmut Klose (1904-1987), Georg Gernsheimer, Egon Illfeld (geb. 1914). |
Die Auseinandersetzungen der Linken im Spanischen Bürgerkrieg hatte ein Nachspiel im französischen Lager Gurs, wo ein großer Teil der Spanienkämpfer aus faschistischen Ländern nach dem Bürgerkrieg interniert wurde. Im März 1939 kam es dort zu einer offenen politischen Spaltung. Über 100 deutsche Spanienkämpfer, die sich nicht dem politischen Diktat der kommunistischen Lagerleitung unterwerfen wollten, organisierten sich separat und nannten sich nach dem Namen ihres Quartiers 9. Kompanie. Deutsche Anarchosyndikalisten nahmen in der 9. Kompanie, der im August zwischen 500 und 600 Spanienkämpfer aus zehn Nationen angehörten, führende Positionen ein.[25] |
Da sich die Aktivitäten der deutschen Anarchosyndikalisten im schwedischen Exil fast ausschließlich im Rahmen ihrer Bruderorganisation, der Sveriges Arbetares Centralorganisation (SAC) bewegten, werden von Helmut Müssener nur die publizistischen Aktivitäten von Helmut Rüdiger zur Kenntnis genommen, der als "Einzelgänger" vorgestellt wird.[27] Das anarchosyndikalistische Exil in den Niederlanden sowie die dortige Rezeption der Schriften von Rudolf Rocker werden in einem Aufsatz von Hubert van den Berg und Dieter Nelles behandelt.[28]
Zwar sind Rockers Aktivitäten im amerikanischen Exil durch Peter Wienand in Umrissen dargestellt[29], aber keineswegs hinreichend erforscht. Nur beiläufig erfährt man bei Wienand, daß Rocker 1934 von David Dubinsky, dem Präsidenten der International Ladies Garment Worker's Union (ILGWU), zum Bildungsreferenten ernannt wurde.[30] Dubinsky gehörte 1933 zu den Mitgründern des Jewish Labor Committee, das große Summen für die verfolgten Gewerkschaftskollegen in Europa sammelte, und er war stark engagiert in der Solidaritätsarbeit für die Spanische Republik.[31] Auf Rockers Beteiligung an der in New York von dem Deutsch-Amerikaner Robert Bek-gran herausgegebenen Zeitschrift Gegen den Strom haben Ulrich Linse und Michael Rohrwasser verwiesen.[32]
Die Widerstandsgeschichtschreibung - und das gilt generell - bricht bislang mit dem Jahr 1945 ab. Das Mischungsverhältnis von Kontinuität und Neubeginn wird kaum thematisiert. Es ist dringend an der Zeit, diesen Zustand zu beenden. Für den Historiker wäre es eine reizvolle Aufgabe, dies anhand einer relativ überschaubaren Kleinorganisation zu versuchen. Der historische Publizist Günter Bartsch hat für diesen Bereich die bislang wichtigste, wenn auch quellenmäßig nicht unproblematische Arbeit der historischen Spurensicherung geleistet.[33] Das von ihm ausgebreitete Material reflektiert freilich nur die Diskussionen einiger Unentwegter, die sich noch einmal für kurze Zeit mit der 1947 gegründeten Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS) eine organisatorische Heimstatt schufen. Diejenigen, die nach 1945 im parteipolitischen Niemandsland siedelten, werden ebensowenig erfaßt wie die Entwicklungen in der SBZ/DDR nach 1948/49.
Das erkenntnisleitende Interesse einer solchen weiterführenden Untersuchung sollte sich dabei auf folgende Fragen richten: