Hartmut Rübner beschreibt in „Freiheit und Brot" die Entwicklungsgeschichte der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft „Freie Arbeiter-Union Deutschlands" (FAUD). Er zeichnet die in vielen Detailfragen noch unzureichend aufgearbeitete Sozial-, Ideen- und Organisationsgeschichte der freiheitlich-sozialistischen Strömung der deutschen ArbeiterInnenbewegung vom Kaiserteich bis zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten nach.
Die Ursprünge der FAUD reichen bis zu den sog. „Lokalisten" der wilhelminischen Zeit zurück. Sie widersetzten sich der Zentralisierung der Gewerkschaftsbewegung, die nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 angestrebt wurde. Sie wollten weiterhin selbst über ihre Angelegenheiten bestimmen und sich nicht der Disziplin einer hierarchischen Gewerkschaftsbürokratie unterordnen. Die lokal organisierter Berufsverbände nannten sich ab 1901 „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften" (FVdG) und waren die Vorläuferorganisation der FAUD. Ähnliche Positionen vertraten die „Jungen" innerhalb der Sozialdemokratischen Partei, die diese Opposition allerdings nicht in ihren Reihen duldete und aus der Partei ausschloß. Die „Jungen" gehörten zum Kern des organisierten Anarchismus im Kaiserreich. Auf die konsequente antimilitaristische Propaganda der AnarchistInnen und SyndikalistInnen antwortete der Staat nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges mit dem Verbot der Zeitungen und Organisationen.
„Die ideologischen Grundlagen der 'Prinzipienerklärung des Syndikalismus' basieren weitgehend auf den Theorien des kommunistischen Anarchismus, wie er von Pjotr Kropotkin entwickelt worden war", schreibt Hartmut Rübner (S.37). Der Anarchosyndikalismus, wollte nicht nur materielle Verbesserungen der Lebensbedingungen erreichen sondern die vollständige Emanzipation der ArbeiterInnenklasse. Die FAUD sah ihre Aufgabe darin, „praktische Schule und Erziehungsstätte" der ArbeiterInnen zu sein, die sie in die Lage versetzt, „die Reorganisation der Produktion und des Konsums auf sozialistischer Basis vorzubereiten und durchzuführen", wie Rocker es ausdrückte (S.38). Mit Hilfe von Streiks, Boykotts und Sabotage sollten tagespolitische Ziele durchgesetzt werden. Der Generalstreik schließlich war nach Ansicht der AnarchosyndikalistInnen das wirksamste Mittel, um die soziale Revolution zu verwirklichen. Den Parlamentarismus als auch die 'Diktatur des Proletariats' lehnten sie ab, da ihr Ziel nicht die Eroberung, sondern die Abschaffung der politischen Macht war. Der Mitgliederzuwachs hielt auch 1920 an. Exakte Zahlen lassen sich allerdings nur schwer ermitteln, wie Hartmut Rübner erläutert. Die Angaben zum Höchststand der FAUD-Mitglieder schwanken zwischen 150.000 im Jahre 1921 und knapp 170.000 [im Jahr] 1922 (Vgl. S. 51).
Ein anderes Kapitel widmet sich den Syndikalistischen Frauenbünden (SFB), die seit 1920 in verschiedenen Orten aktiv waren. Innerhalb der FAUD waren sie allerdings umstritten und blieben recht schwach. Ihre Zeitung „Der Frauenbund" erschien später als Beilage des „Syndikalist", dem Publikationsorgan der FAUD. Die Aufgabe der Frauenbünde sollte vor allem sein. die Frauen und Töchter der Syndikalisten zu organisieren, damit diese die aktiven Männer besser unterstützen konnten. Die berufstätigen Frauen sollten sich hingegen den für sie zuständigen Syndikaten anschließen. „Die Frauengruppen des SFB", so Hartmut Rübner, „widmeten sich überwiegend dem Aufbau von Kindergruppen, arrangierten Märchenvorstellungen und Spiele für die Kinder, förderten die 'Freie Schule', betrieben Sexualaufklärung und organisierten Diskussionsveranstaltungen über den § 218 und den antimilitaristischen Gebärstreik. In Krankheits- und anderen Notfällen praktizierten sie außerdem die gegenseitige Hilfe." (S.186)
In weiteren Kapiteln werden „Freie Schulen" und „Freie Kindergruppen" sowie die anarchistisch-syndikalistische Jugendbewegung vorgestellt. Außerdem werden die Leserinnen mit Titeln des Programms der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde", der Buchgemeinschaft der FAUD, bekannt gemacht. Die Gildenzeitschrift „Besinnung und Aufbruch", die Hartmut Rübner ausgewertet hat, veröffentlichte Beiträge zu verschiedenen kulturellen Themen, etwa zu Fragen der Architektur, Literatur, Bühnenkunst, Pädagogik, dem Nudismus und der Fotografie. Bis auf die Darstellung der 'Gilde', stützen sich die eben genannten Abschnitte des Buches im wesentlichen auf die bereits vorhandene Sekundärliteratur zum Anarchosyndikalismus. Neue Erkenntnisse bieten hingegen die Ausführungen über den anarchosyndikalistischen Einfluß in der Seeleute- und Schifferbewegung, die anarchosyndikalistische Fraktion in der Freidenkerbewegung sowie die Verbindungen zur Sexualreformbewegung. Umfangreiches Archivmaterial, überwiegend Polizeiakten, hat der Autor gesichtet und zeitgenössische Publikationen ausgewertet. Nach den Recherchen von Hartmut Rübner hielt die Verbindung von Seeleuten und FAUD allerdings nicht lange an. Bald nach der Novemberrevolution begannen Richtungskämpfe zwischen SPD- und KPD-nahen Gewerkschaftsgruppen sowie den Anarchosyndikalisten. Die Haltung gegenüber Moskau und die Frage des Anschlusses an die Rote Gewerkschafts-Internationale waren entscheidende Streitpunkte. Bereits zu Beginn der zwanziger Jahre setzten sich die Seeleute von der FAUD ab.
Die Sexualreformbewegung der zwanziger Jahre versuchte Verhütungsmittel zugänglich zu machen, Abtreibungen einfacher und sicherer durchzuführen und die Sexualität zu enttabuisieren. Stärker als in anderen ArbeiterInnenorganisationen wurde in der FAUD die Sexualität als ein öffentliches Thema angesehen, das von den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen nicht zu trennen sei. Anarchosyndikalisten waren in den Vorständen verschiedener Verbände dieser Bewegung tätig, der kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten etwa 150.000 Mitglieder angeschlossen waren.
Zu einer proletarischen Massenbewegung entwickelten sich in den zwanziger Jahren die Freidenkerverbände, in denen Anarchosyndikalisten ebenfalls an führenden Stellen arbeiteten.
Diese Auseinandersetzungen um die ideologische und programmatische Standortbestimmung fanden vor dem Hintergrund eines rapiden Mitgliederrückgangs statt. „Die Basis der FAUD verlagerte sich – nach dem weitgehenden Verlust ihrer quantitativ wichtigsten Standorte in der Bergarbeiterschaft und in der Metallindustrie – ab 1924 zurück in die handwerklich bestimmten Berufe der Klein- und Mittelbetriebe." (S.65f) Die Freie Arbeiter-Union hatte nun in etwa so viele Mitglieder wie die FVdG vor dem Krieg. Die neue Gruppe von Funktionären um Gerhard Wartenberg, Reinhold Busch, Fritz Linow und Helmut Rüdiger, war über die Syndikalistisch-Anarchistische Jugend (SAJ) in die FAUD gekommen. Sie hielt die Prinzipien des kommunistischen Anarchismus, die Propagierung der direkten Aktion und die Orientierung auf eine soziale Revolution nicht mehr für zeitgemäß. Der Weimarer Republik war es inzwischen durch das Betriebsrätegesetz und andere juristische Entscheidungen weitgehend gelungen, die ArbeiterInnenbewegung zu integrieren. Die Jüngeren, die in einzelnen Fragen durchaus unterschiedliche Ansichten vertraten, waren der Meinung, die Freie Arbeiter-Union müsse ihre Inhalte, Ziele und Aktivitäten den realen Verhältnissen anpassen, um tagespolitische Reformen durchsetzen zu können. Nur so würde sie für die ArbeiterInnen attraktiv sein und nicht Gefahr laufen, zur Sekte zu werden. Hartmut Rübner beschäftigt sich sehr ausführlich mit den Vertretern dieser Fraktion, von denen einige, wie Gerhard Wartenberg z.B., sich marxistischen Positionen angenähert hatten.
Die Geschichte der FAUD wird dementsprechend in „Freiheit und Brot" als eine mehr oder weniger stetige und ungebrochene Entwicklung von einer ausdrücklich anarchistischen ArbeiterInnenorganisation hin zu einer eher linkssozialistischen Gewerkschaft dargestellt. Hartmut Rübner stellt fest, daß „die marxistischen Interpretationen einer systemimmanenten und zyklisch erscheinenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und die explizit von Rosa Luxemburg aufgezeigte Tendenz des Kapitals zur Oberakkumulation ... von den deutschen Anarchosyndikalisten als 'wissenschaftliche Erforschungen der Gesetzmäßigkeiten im Wirtschaftsleben' anerkannt und als theoretische Grundlagen akzeptiert (wurden)." (S.130) Der Autor schränkt allerdings ein, daß die Erwartung, die Revolution sei eine zwangsläufige Folge der ökonomischen Entwicklungen, nicht geteilt wurde. An anderer Stelle heißt es: „Die Zielsetzung einer kulturrevolutionären Veränderung der Gesellschaft durch den Anarchosyndikalismus schwand gegen Ende der zwanziger Jahre zur Bedeutungslosigkeit. Demgegenüber wurde dem 'Einfluß [des] materialistischen Geschehens auf die Arbeiterbewegung' eine verstärkte Bedeutung beigemessen." (S.149) Diese Darstellung vernachlässigt, daß die von den Jüngeren angestrebte politische Perspektive der FAUD keineswegs von allen, die sich über diese Fragen Gedanken machten, geteilt wurde. Besonders einige Ältere, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg aktiv waren, vertraten gegenteilige Ansichten. Für sie war gerade das Grundübel, daß ein großer Teil der ArbeiterInnenbewegung sozialdemokratisch oder kommunistisch gewendete marxistische Auffassungen angenommen hatte, wodurch ihrer Ansicht nach die soziale Emanzipation in weite Ferne gerückt war. Und sie hielten es für falsch, sich diesem Trend anzupassen und auf das Bündnis mit LinkskommunistInnen zu setzen. Sie plädierten vielmehr für eine verstärkte Propagierung anarchistischer Ideale. Die Idee des freien Menschen, der gleichberechtigt mit anderen zusammenlebt, sollte veranschaulicht und engagiert vertreten werden. Diese Positionen innerhalb der FAUD werden in „Freiheit und Brot" in der Regel nur angedeutet, aber nicht ausführlich dargestellt. Es fehlt also die ein oder andere Facette des deutschen Anarchosyndikalismus und einige Einschätzungen und Schlußfolgerungen sind etwas zu geradlinig ausgefallen. Ob die „reformistische" Richtung „realitätstüchtiger" war oder die „anarchistische" möglicherweise erfolgreicher gewesen wäre, hätte sie sich stärker durchsetzen können, läßt sich mit letzter Sicherheit nicht beantworten. In gewisser Weise setzt sich diese Debatte bis in die Gegenwart fort.
Die genannten Einschränkungen schmälern aber keineswegs den positiven Gesamteindruck des Buches. Hartmut Rübner präsentiert in seiner Arbeit eine Fülle von Material, das hier erstmals veröffentlicht wird. Zahlreiche Fotos und Abbildungen, ein Personen-, Orts-, Organisations- und Periodikaregister sowie eine umfangreiche Auflistung anarchosyndikalistischer Zeitungen runden diese anspruchsvolle Arbeit ab. Sie ist unverzichtbar für diejenigen, die sich intensiver mit dem Anarchosyndikalismus beschäftigen. Das Buch ist aber auch denen zu empfehlen, trotz des stolzen Preises und der mitunter etwas abstrakten Sprache, die am Anfang einer Beschäftigung mit dem Anarchismus und Anarchosyndikalismus stehen. Und schließlich ist die Frage, wer darüber entscheidet, welche Güter wie produziert werden, auch für die Probleme der Gegenwart von großer Bedeutung.