Wer sich bemübt, die Entstehung der FAUD und ihre kurzzeitige organisatorische Blüte als Massenbewegung zu Beginn der zwanziger Jahre korrekt zu beschreiben, muß konstatieren, daß der ganz überwiegende Teil der bis zu 150.000 Mitglieder dieser syndikalistischen Gewerkschaft sich nicht als überzeugte Anarchosyndikalisten, die um eine neue, alle sozialen Bereiche umfassende Kultur als Basis einer natürlichen gerechten Gesellschaftsordnung kämpfen wollten, anschlossen. Die Altgenossen bemerkten sogar, daß „eine Vielzahl der Neuaufnahmen die FAUD anscheinend wegen der geringeren Mitgliedsbeiträge als 'Nur-Gewerkschaft' bevorzugten", wobei viele dieser neuen Mitglieder „ihren alten Verhaltensweisen verhaftet (blieben), die in ihrer Partei- und Kirchenzugehörigkeit, der Bereitschaft zur Mehrarbeit in den Betrieben und in Einzelfällen sogar durch Streikbruch und Unredlichkeit, wie etwa Veruntreuungen von Mitgliederbeiträgen, zum Ausdruck kamen".
Mitte der zwanziger Jahre versuchte die FAUD durch „verstärkte betriebliche Basisarbeit" ihre zunehmende „Isolation in der Arbeiterschaft" aufzuheben. Der Mitgliederschwund wurde mit den „überflüssigen Debatten über 'Weltanschauungsfragen, Religion, Politik, Anarchismus und Atheismus' in den Ortsgruppen und Arbeitsbörsen" in Verbindung gebracht. Rübner spricht von einer Spaltung der Gewerkschaft in zwei Flügel für die Zeit nach 1925. Eine „radikalgewerkschaftliche" Fraktion wollte die organisatorischen „Mängel" durch einen starken, in der Ökonomie kompetenten „Funktionarskörper" und eine verstärkte betriebliche Agitation beseitigen und eine zweite Richtung näherte sich „einem Genossenschaftssozialismus Landauerscher Prägung" an und wollte die rein gewerkschaftliche Orientierung der FAUD aufgeben.
Sehr überzeugend gelingt es Rübner, dem Leser den organisatorischen Aufbau der FAUD verständlich zu machen. Ebenso instruktiv sind im Anschluß daran seine Ausführungen zur Sozialstruktur der Gewerkschaft, wobei er als Hintergrund ausführlich auf die „Bedeutung der handwerklichen Tradition in der Endphase der Industrialisierung" eingeht, sowie den Anspruch des Anarchosyndikalismus, eine Organisation für die Industriearbeiterschaft zu sein, erläutert und verifiziert. Rübner führt hierzu die verstreuten Angaben aus der einschlägigen Literatur zusammen und ergänzt sie durch die Ergebnisse eigener Archivrecherchen zu einem anschaulichen Gesamtbild.
In einem gesonderten Kapitel geht es um die besondere Bedeutung der Seeleute- und Schifferbewegung für die anarchosyndikalistische und unionistische Agitation vor allem im Rahmen ihrer internationalen Verknüpfungen – wobei dieser Teil der Arbeit etwas beziehungslos zur Gesamtstudie bleibt.
Die dem Anarchismus entsprechenden Kampfformen der „direkten Aktion" setzen eine Bewußtseinslage voraus, in der die Notwendigkeit zu Verantwortlichkeit in allen Bereichen des täglichen Lebens akzeptiert wird. Diese Grundvoraussetzung ergab sich in Deutschland in der revolutionären Situation nach dem Ersten Weltkrieg durch den Druck der allgemeinen Lebensbedingungen bei den Hafenarbeitern und den Bergarbeitern. Den Anarchosyndikalisten der FAUD ist es nicht gelungen, im weiteren Verlauf diese positive Radikalität der Arbeiterschaft erhalten und ihre Vorstellungen gewerkschaftlicher Organisation durchzusetzen, die das Ziel der umfassenden Veränderung der Gesellschaft im Auge behalten und es nicht bei temporären materiellen Verbesserungen belassen. Die heutige Situation zeigt deutlich, daß eine reformistische Gewerkschaftspraxis niemals wirklich strukturelle Verbesserungen für abhängig Beschäftigte erreichen kann, sondern langfristig die Position der Unternehmen festigt und stärkt. Genau dies versuchte die FAUD in der Weimarer Republik den Arbeitern zu vermitteln, jedoch zeigte sich „der Widerspruch zwischen praktischer Interessensvertretungspolitik und einer prinzipientreuen Gesinnungsethik" besonders deutlich innerhalb des Rechtssystems. Im Oktober 1928 hatten die Behörden aufgrund des im Dezember 1926 vom Reichstag verabschiedeten Arbeitsgerichtsgesetzes der FAUD die Tariffähigkeit entzogen. Nach einem langen Rechtsstreit sprach das Reichsarbeitsgericht im Mai 1930 unter Hinweis auf die „Prinzipienerklärung" der FAUD und den daraus zu entnehmenden Grundsätzen der „direkten Aktion" der FAUD endgültig jegliche Vertretungsberechtigung in Tarifauseinandersetzungen ab. Obwohl die FAUD versuchte, durch die Absage an die revolutionären Kampfformen der „direkten Aktion" bei den Gerichten eine Revision des Urteils durchzusetzen, war ihre Handlungsfähigkeit als Gewerkschaft schon rein aus formalen Gründen zerstört. Zudem betrachtete die linksradikale Arbeiterschaft inzwischen die „Gewerkschaftszugehörigkeit in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten" und sah im politischen Bereich die KPD als Träger einer möglichen Gesellschaftsveränderung. Somit blieb der FAUD in der Endphase der Weimarer Republik ihre Aufgabe als „soziokulturelle Bewegung abseits gewerkschaftlicher Zusammenhänge", wie sie von Rübner anhand der mit der FAUD verbundenen anarchosyndikalistischen Frauen- und Jugendbewegung sowie der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde" (GfB) und der Siedlungsexperimente porträtiert wird.
Die vorliegende Arbeit bietet auf der Grundlage eines genauen Quellenstudiums (vor allem der anarchosyndikalistischen Presseorgane) viele überzeugende Ansätze, um weitere detaillierte Forschungen zum deutschen Anarchosyndikalismus zu betreiben, welche die Relevanz der libertären Weltanschauung für die heutigen (im Kern unveränderten) Problemlagen berücksichtigen müssen. Das Buch ist zudem auch als eine Art Handbuch zu gebrauchen, da es viele verstreute Informationen zusammenführt und dem Leser im Anhang mit dem kommentierten Verzeichnis der Presse des deutschen Anarchosyndikalismus ein guter Service geboten wird.
Aus: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der
Arbeit, Bochum, Nr. 14 (1996), S.426-428