Materialien zu: Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. (c) Libertad Verlag Potsdam 1994. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für EUR 25,00 unter ISBN-Nr.: 3-922226-21-3. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches] 

Rezension im „Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit"

In einer für alle über den Anarchismus schreibenden Autoren schon fast obligatorisch zu nennenden Vorbemerkung erklärt Hartmut Rübner, eine „objektive Annäherung an das Thema Anarchosyndikalismus" versuchen zu wollen. Es gelte, „eine Wiederholung von überkommenen und sorgsam kultivierten Klischees, die sich zwischen den Extremen einer heroisierenden Mythologisierung und der diffamierenden Abwertung bewegen", zu vermeiden. Unter Berücksichtigung und Weiterführung der bisher vorliegenden Studien sollen die Hintergründe und Entstehungsbedingungen der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands" (FAUD), der einzig nennenswerten explizit anarchistischen Organisation Deutschlands, sowie ihr Verhältnis zu den anderen „radikal-antiautoritaren" Strömungen der deutschen Arbeiterbewegung dargestellt werden. Hierbei entsteht ein Problem, das Rübner durch den vorgegebenen Rahmen seiner Arbeit nicht zu lösen vermag. Ihm gelingt es nicht, die Konflikte zwischen der Geschäftskommission (GK) der FAUD in Berlin und der Basis bzw. den oppositionellen Strömungen in der Gewerkschaft erschöpfend zu analysieren – dies wäre aber der Schlüssel zum Verständnis des Scheiterns dieser anarchistisch motivierten Gewerkschaft in Deutschland –, sondern er beläßt es weitgehend bei einer deskriptiven Darstellung. Auch nivelliert Rübner, wie die meisten anderen Forscher mit einer positiven Einstellung zu den libertären Ideen, implizit die grundlegenden Differenzen zwischen marxistischem (nicht antiautoritärem) Linkskommunismus und libertärem Sozialismus, wobei gerade die von Rübner anschaulich vermittelte Genese des Anarchosyndikalismus in Deutschland von der Zeit des Sozialistengesetzes und den damals entstehenden radikalen Strömungen in der Sozialdemokratie über die Gründung der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften" (FVdG), der „Ausformung des gewerkschaftlichen Lokalismus", bis zur Beeinflussung der FVdG durch den Anarchismus und ihrer Transformation zur FAUD nach dem Ersten Weltkrieg – diese Ambivalenz durchaus deutlich werden läßt. Die unionistischen Gewerkschaften (und im politischen Bereich die linkskommunistischen Sekten) trennten Welten von den soziokulturellen Ideen der überzeugten Anarchisten in der FAUD, welche die Gewerkschaft zunächst dominierten, wodurch die FAUD wohl die gröbte Zahl ihrer Mitglieder schnell verlor.

Wer sich bemübt, die Entstehung der FAUD und ihre kurzzeitige organisatorische Blüte als Massenbewegung zu Beginn der zwanziger Jahre korrekt zu beschreiben, muß konstatieren, daß der ganz überwiegende Teil der bis zu 150.000 Mitglieder dieser syndikalistischen Gewerkschaft sich nicht als überzeugte Anarchosyndikalisten, die um eine neue, alle sozialen Bereiche umfassende Kultur als Basis einer natürlichen gerechten Gesellschaftsordnung kämpfen wollten, anschlossen. Die Altgenossen bemerkten sogar, daß „eine Vielzahl der Neuaufnahmen die FAUD anscheinend wegen der geringeren Mitgliedsbeiträge als 'Nur-Gewerkschaft' bevorzugten", wobei viele dieser neuen Mitglieder „ihren alten Verhaltensweisen verhaftet (blieben), die in ihrer Partei- und Kirchenzugehörigkeit, der Bereitschaft zur Mehrarbeit in den Betrieben und in Einzelfällen sogar durch Streikbruch und Unredlichkeit, wie etwa Veruntreuungen von Mitgliederbeiträgen, zum Ausdruck kamen".

Mitte der zwanziger Jahre versuchte die FAUD durch „verstärkte betriebliche Basisarbeit" ihre zunehmende „Isolation in der Arbeiterschaft" aufzuheben. Der Mitgliederschwund wurde mit den „überflüssigen Debatten über 'Weltanschauungsfragen, Religion, Politik, Anarchismus und Atheismus' in den Ortsgruppen und Arbeitsbörsen" in Verbindung gebracht. Rübner spricht von einer Spaltung der Gewerkschaft in zwei Flügel für die Zeit nach 1925. Eine „radikalgewerkschaftliche" Fraktion wollte die organisatorischen „Mängel" durch einen starken, in der Ökonomie kompetenten „Funktionarskörper" und eine verstärkte betriebliche Agitation beseitigen und eine zweite Richtung näherte sich „einem Genossenschaftssozialismus Landauerscher Prägung" an und wollte die rein gewerkschaftliche Orientierung der FAUD aufgeben.

Sehr überzeugend gelingt es Rübner, dem Leser den organisatorischen Aufbau der FAUD verständlich zu machen. Ebenso instruktiv sind im Anschluß daran seine Ausführungen zur Sozialstruktur der Gewerkschaft, wobei er als Hintergrund ausführlich auf die „Bedeutung der handwerklichen Tradition in der Endphase der Industrialisierung" eingeht, sowie den Anspruch des Anarchosyndikalismus, eine Organisation für die Industriearbeiterschaft zu sein, erläutert und verifiziert. Rübner führt hierzu die verstreuten Angaben aus der einschlägigen Literatur zusammen und ergänzt sie durch die Ergebnisse eigener Archivrecherchen zu einem anschaulichen Gesamtbild.

In einem gesonderten Kapitel geht es um die besondere Bedeutung der Seeleute- und Schifferbewegung für die anarchosyndikalistische und unionistische Agitation vor allem im Rahmen ihrer internationalen Verknüpfungen – wobei dieser Teil der Arbeit etwas beziehungslos zur Gesamtstudie bleibt.

Die dem Anarchismus entsprechenden Kampfformen der „direkten Aktion" setzen eine Bewußtseinslage voraus, in der die Notwendigkeit zu Verantwortlichkeit in allen Bereichen des täglichen Lebens akzeptiert wird. Diese Grundvoraussetzung ergab sich in Deutschland in der revolutionären Situation nach dem Ersten Weltkrieg durch den Druck der allgemeinen Lebensbedingungen bei den Hafenarbeitern und den Bergarbeitern. Den Anarchosyndikalisten der FAUD ist es nicht gelungen, im weiteren Verlauf diese positive Radikalität der Arbeiterschaft erhalten und ihre Vorstellungen gewerkschaftlicher Organisation durchzusetzen, die das Ziel der umfassenden Veränderung der Gesellschaft im Auge behalten und es nicht bei temporären materiellen Verbesserungen belassen. Die heutige Situation zeigt deutlich, daß eine reformistische Gewerkschaftspraxis niemals wirklich strukturelle Verbesserungen für abhängig Beschäftigte erreichen kann, sondern langfristig die Position der Unternehmen festigt und stärkt. Genau dies versuchte die FAUD in der Weimarer Republik den Arbeitern zu vermitteln, jedoch zeigte sich „der Widerspruch zwischen praktischer Interessensvertretungspolitik und einer prinzipientreuen Gesinnungsethik" besonders deutlich innerhalb des Rechtssystems. Im Oktober 1928 hatten die Behörden aufgrund des im Dezember 1926 vom Reichstag verabschiedeten Arbeitsgerichtsgesetzes der FAUD die Tariffähigkeit entzogen. Nach einem langen Rechtsstreit sprach das Reichsarbeitsgericht im Mai 1930 unter Hinweis auf die „Prinzipienerklärung" der FAUD und den daraus zu entnehmenden Grundsätzen der „direkten Aktion" der FAUD endgültig jegliche Vertretungsberechtigung in Tarifauseinandersetzungen ab. Obwohl die FAUD versuchte, durch die Absage an die revolutionären Kampfformen der „direkten Aktion" bei den Gerichten eine Revision des Urteils durchzusetzen, war ihre Handlungsfähigkeit als Gewerkschaft schon rein aus formalen Gründen zerstört. Zudem betrachtete die linksradikale Arbeiterschaft inzwischen die „Gewerkschaftszugehörigkeit in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten" und sah im politischen Bereich die KPD als Träger einer möglichen Gesellschaftsveränderung. Somit blieb der FAUD in der Endphase der Weimarer Republik ihre Aufgabe als „soziokulturelle Bewegung abseits gewerkschaftlicher Zusammenhänge", wie sie von Rübner anhand der mit der FAUD verbundenen anarchosyndikalistischen Frauen- und Jugendbewegung sowie der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde" (GfB) und der Siedlungsexperimente porträtiert wird.

Die vorliegende Arbeit bietet auf der Grundlage eines genauen Quellenstudiums (vor allem der anarchosyndikalistischen Presseorgane) viele überzeugende Ansätze, um weitere detaillierte Forschungen zum deutschen Anarchosyndikalismus zu betreiben, welche die Relevanz der libertären Weltanschauung für die heutigen (im Kern unveränderten) Problemlagen berücksichtigen müssen. Das Buch ist zudem auch als eine Art Handbuch zu gebrauchen, da es viele verstreute Informationen zusammenführt und dem Leser im Anhang mit dem kommentierten Verzeichnis der Presse des deutschen Anarchosyndikalismus ein guter Service geboten wird.

Manfred Burazerovic

Aus: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Bochum, Nr. 14 (1996), S.426-428


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