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Sammelrezension von Reiner Tosstorff im "ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE"

Der revolutionäre Syndikalismus, früher oft als eine primär französische Bewegung verstanden und dazu noch aus dem Wirken einiger Theoretiker mit Sorel an der Spitze abgeleitet, das dann in einigen Ländern Nachahmer gefunden hätte, wird heute viel angemessener als eine internationale sozial geschichtliche Erscheinung interpretiert, die bei allen nationalen Besonderheiten doch zu ähnlichen Ausdrucksformen führte: zur Bildung von Gewerkschaften, die sich als die "eigentlichen" revolutionären Arbeiterorganisationen verstanden, d. h. die Zusammenarbeit mit sozialistischen Parteien ablehnten. Daß diese Gewerkschaften Unterschiede (z. B. als Berufs­ oder Industrieverbände) aufwiesen, führte zum Teil zwischen ihnen zwar zu heftigen ideologischen Differenzen, war aber im wesentlichen eher eine Funktion des unterschiedlichen sozialökonomischen Rekrutierungsfelds (etwa von handwerklich geprägten Facharbeitern einerseits und ungelernten [Wander­]Arbeitern andererseits) als Ausdruck einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit. Diese Verwandtschaft von syndikalistischen und revolutionär­industriegewerkschaftlichen Bewegungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg - damals sprach man von Syndikalismus und Industrialismus oder Unionismus - wurde so auch von ihren Gegnern verstanden, die sie unterschiedslos als ein und dieselbe Erscheinung von "industrial unrest" bekämpften.

Daß diese Bewegungen bislang kaum als eine internationale Strömung wahrgenommen werden *) liegt vielleicht an den marxistischen Interpretationen, nach denen sie kleinbürgerlich und rückschrittlich waren (als Opposition gegen die modernen Formen der Industrie), wie sie zunächst Von der 'Orthodoxie' der Zweiten Internationale wie dann - vor allem unter Stalin - ebenso von der Dritten Internationale vertreten wurden. Nicht zuletzt waren diese Bewegungen seit 1917 aber auch 'Verlierer der Geschichte' gegenüber dem scheinbar so erfolgreichen Modell der Bolschewiki. Diese bemühten sich besonders in der Anfangsphase der Kommunistischen Internationale intensiv um die Syndikalisten und gewannen gerade mit diesem Argument des 'Erfolgs' nicht wenige dieser Aktivisten für ihre doch so andere Konzeption, was zu einer Aufspaltung der verschiedenen Organisationen führte und sie - von der zeitweiligen Ausnahme Spaniens abgesehen - zu einer marginalen Strömung machte. Dabei sollte aber auch nicht übersehen werden, daß es durchaus auch im Syndikalismus bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Kräfte gab, die den Schwenk zur Kriegsbeteiligung mitmachten und damit die Annäherung zu der noch kurz zuvor so heftig bekämpften Sozialdemokratie einleiteten. Das beste Beispiel dafür ist die Führungsgruppe der französischen CGT um Léon Jouhaux, die sich damit nur noch unwesentlich von den einst so polemisch angegriffenen deutschen Gewerkschaften unter Legien unterschied.

Die hier vorgestellten Studien beleuchten die Geschichte verschiedener Bewegungen aus diesem Umfeld. Die ambitionierteste Arbeit ist sicher Verity Burgmans 'Ländermonographie': eine Gesamtdarstellung der "Industrial Workers of the World" (IWW) in Australien. Die Wobblies - wie sie mit ihrem populären, noch heute nicht eindeutig erklärbaren Spitznamen hießen - hatten zwar ihren Ursprung und ihren Schwerpunkt in den USA, fanden aber auch Nachahmer in anderen angelsächsischen Ländern, u. a. auf dem fünften Kontinent. Dieser war, was staatliche Sozialpolitik und Arbeitsgesetzgebung - Mindestlohngesetze, Schlichtungswesen - anbelangt, vor dem Ersten Weltkrieg ein (u. a. auch in Deutschland) vielstudiertes Experimentierfeld. Eingeführt wurde das alles von Labour­Regierungen, als die britische Partei gleichen Namens noch nicht recht wußte, ob sie wirklich von den Liberalen unabhängig sein wollte. Doch bildete sich bereits zwei Jahre nach Gründung der IWW in Chicago im Jahre 1905 auch in Sydney der erste IWW­Club (wobei die australischen IWW bei allen Affinitäten eine unabhängige Organisation bildeten). Ähnlich wie in den USA waren die ersten Jahre von starken organisatorischen Konflikten geprägt, die sich um den Einfluß des US­amerikanischen Sozialisten De Leon drehten, der Industriegewerkschaften mit einer sozialistischen Partei verknüpfen wollte. Doch auf beiden Seiten des Pazifiks setzten sich schnell diejenigen durch, die die direkte ökonomische Aktion ohne und gegen die Politik zur strategischen Achse machten. Diese organisatorische Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg wird in den ersten Kapiteln des Buchs ausführlich beschrieben.

Den Hauptteil nehmen dann analytische Abschnitte ein. Detailliert und immer wieder mit den Erfahrungen aus ihren Kämpfen verknüpft, werden darin die Vorstellungen der Wobblies von einer sozialistischen Gesellschaft, d. h. der auf Industriegewerkschaften beruhenden "industriellen Demokratien, nachgezeichnet. Die soziale Basis der Bewegung lag bei den ungelernten Arbeitskräften in immer wieder wechselnden Beschäftigungen, die auch überwiegend Einwanderer waren und sich von den "craft unions" bzw. Labour nicht angemessen vertreten sahen. Obwohl auch sie im wesentlichen aus europäischen Staaten kamen, waren sie gegen die "White Australia"­Politik, die ja bezeichnenderweise ihre stärkste Stütze im "laborism" inklusive seines sozialistischen Flügels hatte. Interessant sind auch die Ausführungen der Autorin zur "woman question" zu den Widersprüchen, in denen sich die IWW zwischen dem entschiedenen Anspruch auf Gleichberechtigung der Geschlechter einschließlich der sexuellen Emanzipation der Frau und den Vorstellungen von der "at the point of production" zu verwirklichenden Männlichkeit sahen. Weitere analytische Teile beschäftigen sich mit der organisatorischen Struktur der IWW, der von ihnen vertretenen Arbeitsethik - hierzu gehört das Problem der Sabotage -,ihrer Kritik am "laborism" und der von ihnen entwickelten Taktik in Arbeitskämpfen. Ihre Betonung der "direkten industriellen Aktion" entsprach den Arbeitsbedingungen von Berufsgruppen wie Bergleuten oder landwirtschaftlichen Saisonarbeitern (Scherern, Holzfällern etc.).

Das letzte Drittel des Buchs ist den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs gewidmet, oder um es klar zu sagen, der Darstellung, wie die Kriegssituation von der Regierung zur Zerschlagung der IWW ausgenützt wurde. Der Generalstreik gegen den Krieg kam natürlich auch in Australien nicht zustande, aber die IWW führten eine ständige Agitation, die für die Regierung besonders in der Frage der Einführung der Wehrpflicht sehr lästig war (wobei sich die IWW ironischerweise mit den Katholiken - d. h. den irischen Einwanderern - trafen). Verhaftungen setzten ein, Sondergesetze wurden erlassen, bis schließlich im September 1916 die Führungsgruppe unter der Anschuldigung verhaftet wurde, sie hätte geplant, Sydney anzuzünden. Von diesen Schlägen - zu denen noch Deportationen kamen - konnten sich die IWW niemals wieder erholen. Fraktionelle Zersplitterung setzte ein. Die Kommunistische Partei entstand, die zwar trotz aller Bemühungen nur einen kleinen Teil der Wobblies gewann - dazu waren politische Vorstellungen und Organisationskultur doch zu verschieden -,aber dennoch erfolgreich darauf beharren konnte, das Monopol auf revolutionär linke Politik zu besitzen. Kleinere Splittergruppen blieben übrig, vor allem aber ein Mythos, an den dann die Neue Linke eifrig wieder anzuknüpfen versuchte.

Zusammengenommen: Hier liegt wirklich ein abgerundetes, mit viel Sympathie für den Gegenstand geschriebenes Gesamtbild vor, dem man die jahrelange Beschäftigung der Verfasserin mit dem Thema anmerkt. Burgman zeigt, daß die IWW in der australischen Arbeiterbewegung keine ganz unbedeutende Rolle spielten. Ihr Radikalismus war nicht aufgesetzt, sondern entsprach den prekären Arbeits­ und Lebensbedingungen bestimmter marginalisierter Schichten, denen der offizielle "laborism" keine große Beachtung schenkte. Zwar zeigt sie die Eigenständigkeit dieser Bewegung, streicht aber auch die große Nähe zum europäischen Syndikalismus heraus. Dabei macht sie sich keine Illusionen: Die IWW sind ein "lost cause", der aber sei "worth rescueing from the dustbin of history, if only to examine its critique of the labour movement ideologies and practices, of Communism and Laborism, that triumphed over it" (S. 276).

Mark Leiers bereits etwas ältere Studie über die IWW in Kanadas Pazifik­Provinz British Columbia ist längst nicht so detailliert und umfassend, was vielleicht zu einem Teil an dem vergleichsweise begrenzten Gegenstand liegt. Die IWW waren entsprechend den Traditionen der kanadischen Arbeiterbewegung hier Teil der den gesamten Kontinent umfassenden Organisation, also der IWW mit Sitz in den USA. Andererseits setzt er sich im Unterschied zu Burgman auch ausführlich mit den in bisherigen Arbeiten vertretenen Interpretationen auseinander, "that are too quick to write off the Wobblies" (S. II). Ihm geht es erklärtermaßen darum, den Syndikalismus als plausible Alternative zum Kapitalismus und 'Staatssozialismus' darzustellen. Dementsprechend beginnt er mit einer ausführlichen Darlegung der Herausbildung der spezifischen nordamerikanischen Form des Syndikalismus. Ein weiteres Kapitel stellt die bedeutenden Arbeitskämpfe vor, die von den IWW in British Columbia organisiert wurden. Sie zeigen ihre soziale Basis: Holzfäller, Berg­ und vor allem Eisenbahnarbeiter außerhalb der Städte, sowie in den Kommunen Bau­ und Transportarbeiter. Also alles ungelernte Arbeitskräfte in vorübergehenden Beschäftigungsverhältnissen, die oft genug nicht einmal in festen Unterkünften lebten, und entsprechend militante Streikformen verwenden mußten.

Ein Großteil seiner Untersuchung ist dem Verhältnis der IWW zu den anderen Strömungen der Arbeiterbewegung gewidmet. Das waren zum einen die "craft unions" des AFL, zum anderen die Sozialistische Partei. Zwischen beiden Gruppierungen gab es enge Beziehungen, so daß auch die AFL­Gewerkschaften in dieser Region 'linker' waren als im übrigen Nordamerika. In zahlreichen nicht nur ökonomischen, sondern auch politischen Kämpfen (z. B. um Versammlungsfreiheit), kam es zur "solidarity on occasion", wie eine Kapitelüberschrift lautet, die aber fast regelmäßig unter gegenseitigen Vorwürfen rasch wieder zusammenbrach. Den Grund für diese Spaltung sieht Leier nicht nur im ideologischen Bereich, sondern auch in den sozialen Unterschieden zwischen den verschiedenen Arbeiterschichten bzw. zwischen IWW­Aktivisten und den sozialistischen "middle class"­Politikern. In Kanada setzte die Verfolgung der Wobblies entsprechend dem frühen Kriegseintritt des Landes bereits 1914 ein. Dies konnten die Wobblies trotz eines vorübergehenden Aufschwungs nach Kriegsende nicht mehr wettmachen. Was die Abspaltung der Kommunisten nicht schaffte, erledigte dann 1924 eine Spaltung um die Frage der Zentralisierung.

Dem Autor gelingt es durchaus Sympathien für die egalitären Vorstellungen, die Praxis der Basisdemokratie und die Aufopferungsbereitschaft der IWW­Aktivisten zu wecken. Doch macht er es sich sicher zu einfach, wenn er ihren Syndikalismus zur konsequenten strategischen Antwort auf die Entwicklung des Monopolkapitalismus erklärt und dabei nicht die Frage aufwirft, welchen Platz darin andere Arbeiterschichten als Wanderarbeiter und Immigranten hätten einnehmen sollen. Vielleicht liegt hier auch ein Grund dafür, daß nach dem Ersten Weltkrieg Kommunisten von 'links' und Reformisten von 'rechts' mit dem Anspruch, eine Strategie für die gesamte Arbeiterklasse zu vertreten, die Syndikalisten so leicht ins Abseits stellen konnten.

Hartmut Rübners Studie über den deutschen Anarchosyndikalismus behandelt dagegen einen in vielfacher Weise von den beiden vorhergehenden Darstellungen unterschiedlichen Gegenstand. Zum einen handelt es sich hier um den europäischen Syndikalismus, der stärker auf Handwerker­ und Facharbeitertraditionen beruhte. Zum anderen umfaßt der von Rübner analysierte Zeitraum die Jahre nach 1918, in denen der Syndikalismus nach einer kurzen Blüte durch den Kommunismus an den Rand gedrängt wurde, wie er ja in Deutschland auch vorher schon nur eine kleine Minderheitsströmung neben der noch ungespaltenen Sozialdemokratie repräsentiert hatte. Zwar liegen zur Geschichte der Freien Arbeiter­Union und ihrer Vorläufer durchaus schon eine Reihe von Arbeiten vor, auf denen Rübner auch aufbaut und deren Ergebnisse er übersichtlich zusammenfaßt. Dies hat er allerdings durch eine erneute Lektüre vieler - vor allem veröffentlichter - Quellen ergänzt, so daß er manches Detail hinzufügen kann. So zeichnet er die Ursprünge der Bewegung in der Kaiserzeit in den Auseinandersetzungen innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung nach, schildert die Rolle der Syndikalisten in der Revolution von 1918 und beschreibt dann die organisatorische Entwicklung, die soziale Basis, die inneren Auseinandersetzungen sowie das kulturelle und lebensweltliche Umfeld. Rübner zeigt dabei, daß der deutsche Anarchosyndikalismus eine breite Bewegung war, in der - zunächst durch die Perspektive auf eine revolutionäre Veränderung zusammengehalten - durchaus konträre Positionen zusammengefaßt waren. Das Spektrum reichte von einem 'gewerkschaftlichen', auf die Gewinnung einer breiten Arbeiterbasis zielenden Selbstverständnis bis hin zu Vorstellungen von der Schaffung einer Gegengesellschaft etwa in Form von Siedlungsprojekten. Doch es war nicht der daraus resultierende, z. T. sehr scharfe innere Streit, sondern die allgemeine Situation der Weimarer Republik, die dem deutschen Anarchosyndikalismus die gesellschaftliche Basis entzog.

Neuland betritt Rübner mit einer in diese Gesamtdarstellung eingebauten Untersuchung des Syndikalismus der Seeleute, die sich nach 1918/19 im "Seemannsbund" bzw. "Schiffahrtsbund" eine zeitweise einflußreiche Organisation schufen, über die bisher keine Literatur vorliegt. Der spezifische Seeleute­Syndikalismus war übrigens keine deutsche Erscheinung, sondern läßt sich international nachweisen. Rübner deutet die strukturellen Ursachen an und beleuchtet die internationalen Zusammenhänge der Seeleutebewegung (etwa über die IWW vermittelt). Interessanterweise wurde diese Form des Syndikalismus sehr schnell von der Kommunistischen Internationale dominiert. Dieses Gebiet ist sicher noch ein fruchtbares Feld für weitere Forschungen, sei es über die sozialgeschichtlichen Strukturen, sei es über die Organisationsentwicklungen (wenn man etwa an das Material im Moskauer Archiv der Komintern denkt). In einem abschließenden Kapitel versucht der Autor bilanzierend Entwicklungsbedingungen und ­möglichkeilen anarchosyndikalistischer Bewegungen in einer vergleichenden Perspektive - sowohl mit Blick auf die zeitgenössischen Bewegungen in anderen Ländern wie auch auf die Wiederbelebungsversuche nach 1968 - zu analysieren. Immerhin gibt er sich illusionslos, da er - speziell zu letzterem - die Aussichten solcher Bewegungen, ein größeres Echo zu finden, "angesichts des historischen Bruchs in der Arbeiterbewegung" für "unwahrscheinlich" hält (S. 263). Schließlich sei noch auf den ausführlichen Überblick über die anarchosyndikalistische Presse zwischen den beiden Weltkriegen im Anhang hingewiesen.

Eine gänzlich andere, aber vielleicht gerade dadurch viel anschaulichere Herangehensweise findet sich in der letzten der vier Veröffentlichungen. Es handelt sich um einen Erfahrungsbericht, den der schwedische Syndikalist Rudolf Berner über einen Deutschlandaufenthalt im Jahre 1937 verfaßte und der, zuerst 1940 in Schweden veröffentlicht, jetzt ins Deutsche übertragen und von Andreas Graf und Dieter Nelles sachkundig annotiert und mit ausführlichem Vor­ und Nachwort versehen wurde. Zweck dieser Reise nach Deutschland war es, die Verbindung zwischen dem Exil - der Autor kam übrigens aus Spanien, wo sich nach 1936 viele deutsche Anarchosyndikalisten aufhielten - und den verbliebenen wenigen hundert Kämpfern in der deutschen Illegalität wieder zu knüpfen. Berner war schon vor 1933 in Deutschland gewesen, kannte also einen Teil von ihnen, was ihm das nötige Vertrauen sicherte. Mit Wuppertal, Düsseldorf, Leipzig und Berlin besuchte er die Zentren des syndikalistischen Widerstandes. Sein Bericht ist anschaulich, macht die Atmosphäre des bedrückenden Terrors deutlich, besonders wenn er über die Schicksale in den KZs, von denen er erfuhr, informiert, und zeigt zugleich ohne falsches Pathos den Heroismus der trotz allem weiterhin fest zu ihren Überzeugungen stehenden Aktivisten. Verschiedentlich wird ihm gedankt für die für uns heutige Leser gar nicht richtig nachvollziehbare Ermunterung, die allein die Tatsache seines Besuchs bedeutete. Eine besonders beeindruckende Szene schildert den Versuch, der Mutter eines in Spanien Weilenden die aufgetragenen Grüße zu übermitteln. Er kann aber ihren Laden nicht betreten, da er merkt, daß dieser überwacht wird und er mit ziemlicher Sicherheit beim Betreten verhaftet würde.

Natürlich ist dieser Bericht 'konspirativ' abgefaßt. Namen, Orte usw. werden nicht genannt. Allerdings gibt es genügend Andeutungen, so daß die Herausgeber in zahlreichen Anmerkungen den realen Hintergrund benennen oder doch zumindest Vermutungen darüber anstellen können. Dies bestätigt aber auch, daß es sich um einen wirklich authentischen Bericht handelt. In einem Nachwort versuchen Graf und Nelles eine erste Bestandsaufnahme des bis heute kaum zur Kenntnis genommenen Widerstandes der FAUD. Dieser wies gerade wegen seiner geringen Größe - wie der ähnlicher linkssozialistischer Kleingruppen -,trotz aller Verfolgungsmaßnahmen eine erstaunliche Geschlossenheit auf, auch wenn die wenigen lokalen Zirkel schließlich nicht mehr verbunden waren und im wesentlichen nur den persönlichen Zusammenhalt gewährleisten konnten. "Die Existenz dieser informellen Gruppen stärkte allerdings den einzelnen Genossinnen und Genossen den Rücken und ermöglichte es oft überhaupt erst, den eigenen Anschauungen treu zu bleiben" (S. 107). Weniger als 100 FAUD-Mitglieder emigrierten und fanden z. T. Unterstützung bei ähnlichen Gruppen im Ausland, besonders in Spanien. Der Ausbruch des Bürgerkriegs und die große Rolle, die dort anfangs die Anarchisten spielten, gaben neue Hoffnung - auch in Deutschland­, die sich aber schnell zerschlug. Interessant ist, daß es kaum Remigrationen nach 1945 gab; die meisten blieben in der neugefundenen Umgebung. In Deutschland wiederum scheiterten alle Versuche, die syndikalistischen Traditionen neu zu beleben (einige alte FAUDler schlossen sich sogar der SED an). Beigefügt sind dem Buch schließlich noch eine Bibliographie der syndikalistischen Widerstands­ und Exilpresse sowie zahlreiche Bilddokumente.

Reiner Tosstorff, Frankfurt/Main
 
 
Aus: ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE. Hrsg. vom Institut für Sozialgeschichte e.V., Bonn, Jg. 37 (1997), S. 598-602 

Anmerkung

*) Jedoch als Gegenbeispiel zuletzt: Marcel van der Linden/Wayne Thorpe (Hrsg.) Revolutionary Syndicalism. An International Perspective, Aldershot 1990.]


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Zuletzt aktualisiert am 14. August 2002 / © DadA und Libertad Verlag Berlin/Köln; info@dadaweb.de